Das große Fest zum Jubiläum fällt aufgrund der nötigen Sanierungsmaßnahmen am Gebäude notgedrungen ein wenig bescheidener aus in diesem Jahr. Umso mehr freuen wir uns auf ein oder mehrere große Feste, wenn es dann so weit ist! Die Gemeinde Fritzlar hatte in dieser Situation jedoch eine geniale Idee als Entschädigung für unsere Leserinnen und Leser: Alexander Tohmé interviewte das Ehepaar Raschpichler – ein vielen bekanntes Ehepaar aus den ersten Stunden – in diesem Jubiläumgs-Interview in ihrem Altenwohnsitz in Gudensberg.
Alex: Ursula und Helmut, zum 100-jährigen Jubiläum der Gemeinde in Fritzlar werdet ihr als Gudensberger interviewt. Was habt ihr mit der Gemeinde Fritzlar am Hut?
Helmut: Ich kenne die Gemeinde Fritzlar schon seit vielen Jahrzehnten. 1948 kam ich als Bibelschüler erstmals nach Fritzlar und blieb zunächst für vier Jahre, in denen die Gemeinde mich stets unterstützt hat. Sie luden mich und die anderen Bibelschüler sonntags zum Mittagessen ein und wuschen sogar meine Wäsche! Natürlich nahmen wir auch an den Veranstaltungen der Gemeinde teil.
Ursula: Später kamen wir 1960 wieder nach Fritzlar und blieben 38 Jahre lang, bis 1998. In dieser Zeit war Helmut Bibelschullehrer und teilweise auch Leiter. Das Gemeindeleben war Teil unseres Alltags und wir profitierten gegenseitig voneinander.
Alex: Nun schauen wir zurück auf eine lange Geschichte. Welche zentralen Eckpunkte der Geschichte der Gemeinde möchtet ihr hervorheben?
Ursula: Die Gemeinde wurde 1924 in Lohne, einem Nebenort von Fritzlar, zunächst als Hausgemeinde gegründet. Wilhelm Berle hatte sich bekehrt und wollte seine Mitmenschen an der Guten Nachricht teilhaben lassen. Dies gelang, bis er mit der Zeit neben einer wachsenden Gemeinschaft auch Ablehnung unter den Mitmenschen erfuhr, die ihn zunehmend ausgrenzten und schließlich seine Schneiderei boykottierten. Dann zog er mitsamt seinem Geschäft und der wachsenden Gemeinde nach Fritzlar in die Altstadt.
Helmut: An diesem Ort blieb die Gemeinde bis 1958 und man bot auch der Bibelschule bis dahin dort Räume an. Ich selbst bin dort zur Bibelschule gegangen. 1958 zog die Gemeinde in die Fraumünsterstraße 38, wo sie bis heute ist. Der erste Pastor, der ausschließlich für die Gemeinde zuständig war, war Willi Krenz. Mit ihm endete eine Ära, in der die Gemeinde und die Bibelschule in den Leitungsrollen kaum zu trennen waren.
Alex: Wie sah die Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Bibelschule konkret aus?
Helmut: Von Ernst Kersten über Johannes Zante, Wilhelm Link, mich selbst bis hin zu Eckard Bewernick waren Bibelschulleiter stets auch Prediger in der Gemeinde. Wir hatten weitere Gemeinden, für die wir verantwortlich waren, aber Fritzlar war wegen der unmittelbaren Nähe sehr stark in das Geschehen der Bibelschule involviert. Kamen Gastlehrer z. B. aus den USA, waren sie stets sonntags als Prediger in der Gemeinde eingesetzt. Die Bibelschüler waren selbstverständlich Teil der Bibelstunde und des Gottesdienstes. Auch die Jugendgruppe wurde von Bibelschülern besucht und diente als Praxisfeld, in dem sich die Schüler ausprobieren durften und sollten. Die Gemeinde kümmerte sich um die Schüler. Gemeinsam veranstaltete man große Konferenzen. Missionare, amerikanische Gemeindeleute auf der Durchreise und Prediger aus aller Welt kannten und kennen Fritzlar, wegen der Bibelschule, aber eben auch wegen der Gemeinde.
Alex: Wenn die Gemeinde so bekannt war beziehungsweise noch ist, was verbinden die Menschen weltweit, aber auch ihr persönlich mit der Gemeinde Fritzlar?
Ursula: Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft. Hier fanden über die Jahrzehnte viele Konferenzen statt: Die jährliche Mitarbeiterkonferenz, die Osterkonferenz in der alten Mosterei, die Bundeskonferenzen und dann auch die Weltkonferenz 1955. Die Gemeinde kochte für die Teilnehmer und sie öffneten ihre Häuser als Unterkunft.
Helmut: Fritzlar stand für einen theologischen Sammelpunkt. Hier trafen verschiedene Einflüsse aufeinander und die Predigten waren dementsprechend vielseitig. Aus der Sicht eines Predigers bereitete man sich für Fritzlar besonders akribisch vor, weil hier theologisch geschulte Zuhörer in den Reihen saßen.
Ursula: Die Gemeinde war eine bunt gemischte Gruppe, weil seit jeher alle möglichen Generationen vertreten sind. Zu unserer Zeit waren besonders die Jugend- und die Frauengruppe sowie der Missionsbasar in der Stadthalle unter Edith Krenz prägende Veranstaltungen. Helmut wechselte sich in der Verantwortung für die Gemeinde jährlich mit seinen Kollegen ab. Als dann Pastoren angestellt wurden, kamen nach Willi Krenz Eckard Bewernick, Reinhard Berle, Eduard Neufeld, Thomas Ebel, Fabiano Zils und schließlich Mark Winkelhöfer, bis hin zum jetzigen Interimspastor Marc Pietrzik.
Alex: Damit sind wir im Schnelldurchgang in der Gegenwart angekommen. Was wünscht ihr der Gemeinde für die Zukunft?
Helmut: Wir wünschen der Gemeinde eine lebendige Zukunft und dafür das passende Rezept, nämlich Jesus und sein Wort im Zentrum von allen und allem.
Alex: Vielen Dank für das freundliche Interview!
(Aus: PERSPEKTIVEN – Christsein und Gemeinde heute 04-05_2025)