Dieser Text war ein Blog-Beitrag von Lloyd Moritz, der Teil unseres nordamerikanischen Mutterwerks der Church of God, Anderson, Indiana, ist. Zielgruppe sind die dortigen Gemeinden, die in einem langen Prozess der partnerschaftlichen Integration verschiedener Gemeinden mit Migrationshintergrund stehen. Die hier angesprochenen geistlichen und kulturellen Wurzeln halten wir jedoch auch für uns in Deutschland für relevant für unser ständiges Bemühen, die Einheit der an Christus Gläubigen mit Wort und Tat praktisch zu leben. Aus: PERSPEKTIVEN 02-03 2025
Die Geschichte der Gemeinde Gottes in Nordamerika wäre ohne die deutschsprachigen Immigranten ganz anders verlaufen. Sie nahmen die Glaubensgrundsätze unserer Gemeindebewegung enthusiastisch auf – und fühlten sich gleichzeitig von der weiteren englischsprachigen Gemeindefamilie zuweilen missverstanden.
Hierzu könnte ich mit dem Hintergrund meiner eigenen persönlichen Familiengeschichte einiges sagen. Mein Großvater mütterlicherseits migrierte nach Kanada und war Pastor zweier deutschsprachiger Gemeinden Gottes. Mein ganzes Leben lang war ich in engem Kontakt mit diesen Wurzeln und wuchs mitten im Zentrum dieser kulturellen und gemeindlichen Enklave innerhalb des [englischsprachigen; Anm. d. Übers.] Gemeindebundes auf. Wer nicht gerade einige Zeit in den nördlichen Bundesstaaten Kanadas verbracht hat, wird den Einfluss, den deutsche Migranten auf die Bewegung der Gemeinde Gottes hatten, nicht unbedingt wertschätzen. Doch die Wurzeln dieses Teils unserer Geschichte gehen noch viel tiefer.
Entwurzelte Migranten verwurzeln sich neu
D. S. Warner war durch seine Mutter deutscher Abstammung. Sein späteres Engagement in der »Winebrennarian Church of God« passte bestens, da es in dieser Gruppierung viele Deutschsprachige gab. Warner war zweisprachig und predigte seine gesamte Dienstzeit über auf Englisch und Deutsch, und dementsprechend waren einige der ersten Anhänger der Bewegung deutscher Herkunft.
In den Bundesstaaten des mittleren Westens der USA lebten viele Menschengruppen aus Europa, vor allem aufgrund der in Europa herrschenden politischen Instabilität und Kriege. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Reformationsbotschaft gerade diese Migranten-Kommunen ansprach.
1895 begann die »Gospel Trumpet Company« damit, eine deutschsprachige Ausgabe, die »Evangeliums Posaune«, zu drucken. Ein Jahr zuvor wurde der erste Missionar aus den USA nach Deutschland gesandt. Während der ersten Jahrzehnte wurden in den USA auf den Camp-Konferenzen auch deutsche Gottesdienste angeboten. Diese Gläubigen waren gut in die Gemeindebewegung integriert – ebenso ist jedoch belegt, dass sie teils mit den anderen Gemeinden über unterschiedliche Standpunkte zur Heiligung aneinandergerieten. Ein andauernder Kampf, der in der Zukunft immer wieder aufbrach.
Mit der Zeit entstanden in Nordamerika deutschsprachige Gemeinden in Kanada, Michigan, Nord-Indiana, Wisconsin, Kansas und sogar in entlegeneren Gegenden wie Kalifornien. Das Jahrbuch von 1917 offenbart, dass 6% der aufgelisteten Prediger sowie 26 Gemeindeversammlungen deutschsprachig waren.
Wir müssen uns jedoch bewusst machen, dass viele deutschsprachige Gemeinden nicht regelmäßig in den Jahrbüchern mit aufgelistet wurden, was vielleicht ein Hinweis für die Tatsache ist, dass sprachliche (und kulturelle) Barrieren wohl trennend zwischen diesen Gemeinden und ihrer vollen Anerkennung und Annahme standen.
Die Wurzeln des modernen deutschen Staates sind eher jung
Der Erste Weltkrieg veränderte vieles. Anti-deutsche Gefühle trugen zu komplizierteren Beziehungen mit den anderen Gemeinden bei und verlangsamten die Entwicklung neuer Gemeinden. Dennoch sollte das, was in Europa als ein Ergebnis des Weltkrieges geschah, einen noch größeren Einfluss auf den zukünftigen Verlauf der deutschsprachigen Gemeinde in den Vereinigten Staaten und Kanada haben. Deutschsprachig sind nicht nur diejenigen, die tatsächlich in Deutschland leben.
Der moderne deutsche Staat ist eine relativ junge Nation, deren Wurzeln im Grunde nur bis 1866 zurückreichen, auch wenn es germanische Stämme und Volksgruppen natürlich schon davor gab, und durch die damalige Neumischung politischer Karten in Europa verschlug es dieser Volks- und Sprachgruppe angehörige Menschen an andere Orte – besonders Osteuropa und Russland. Relevant ist dies deshalb für uns in dieser Betrachtung, da die deutschsprachige Ausgabe der »Gospel Trumpet« und erste Missionare der Bewegung der Gemeinde Gottes mit genau diesen Siedlungen bereits 1908 in Kontakt kamen, so z. B. Wolhynien [u.a. Teile der heutigen West-Urkaine, Polen, Belarus; Anm. d. Übers.], dem Geburtsort meiner Großeltern mütterlicherseits.
Die Reformationsbotschaft wurde in dieser relativ armen und unterdrückten Region gut aufgenommen. Der Glaube dieser »Heiligen« gab Stärke inmitten großer Unruhe, und ein tief verwurzelter Sinn für Frömmigkeit bleibt in diesem Zweig der weltweiten Gemeinde fest verankert. [Mehr zu Herkunft und Prägung osteuropäischer Deutscher ist nachzulesen in Walter Froeses hervorragendem Geschichtsüberblick »People of Faith in Turbulent Times: The Church of God in Eastern Europe«; vom Autor sehr empfohlen].
Das Leben für diese in Russland lebenden »Außenseiter« während des Krieges war hart, und bald nach Kriegsende wurden viele in andere Regionen Europas verstreut. Wiederum andere emigrierten in Länder wie die USA, Kanada und Brasilien. Das Problem war jedoch, dass diese Menschen deutscher Abstammung trotz der Gemeinsamkeit in Sprache und kulturellem Erbe nicht zu den »moderneren« Deutschen passten, auf die sie in Deutschland und in den anderen Ländern trafen.
Ebenso viele Unterschiede wie Gemeinsamkeiten
Selbstverständlich hießen die Gemeinden Gottes in Deutschland und Nordamerika diese Flüchtlinge, die ein besseres Leben außerhalb des Post-Weltkriegs-Russland suchten [die ehem. Sowjetunion wurde 1922 gegründet; Anm. d. Übers.], willkommen. Doch schnell wurde klar, dass es ebenso viele Unterschiede wie Gemeinsamkeiten gab. Die Immigranten waren größtenteils aus dem ländlichen Raum, nicht sehr gebildet, und vielen erschien es, als wären sie einer Zeitschleife entsprungen. Die Geflüchteten waren wiederum von der modernen, hoch industrialisierten Welt, die sie zum ersten Mal erlebten, überwältigt und schockiert darüber, wie einige der konservativen Werte, besonders was die Heiligung betraf, in der westlichen Welt nicht strikt eingehalten wurden.
Dies alles bildete die Grundlage für eine herausfordernde Dynamik innerhalb der deutschsprachigen Gemeinschaft selbst, und nach und nach auch mit der weiteren Gemeinde Gottes in Nordamerika. Der 2. Weltkrieg verschlimmerte das Ganze. Der Nazi-Terror und der sich daraus ergebende langjährige Weltkrieg drängte Deutschstämmige noch weiter in die Isolation. In den Jahren nach 1945 wanderten so ziemlich alle noch in der ehemaligen Sowjetunion lebenden Glieder der Gemeinde Gottes nach Deutschland aus, doch aufgrund der Schwierigkeiten, in der Wiederaufbau-Gesellschaft nach dem Krieg ihren Platz zu finden, gab es weitere Migrationswellen in die USA und Kanada, die bereits bestehende Gemeinden unterstützten und Neugründungen entstehen ließen. Teil dieser Gruppe war der bekannte aus Wolhynien stammende Leiter Gustav Sonnenberg, der 1949 nach Kanada kam und einen maßgeblichen Dienst in Edmonton, Alberta, aufbaute – der wiederum das Zentrum des maßgeblichen Einflusses auf die deutschsprachige Gemeinde Gottes wurde. Der Zustrom der Osteuropäer dominierte schnell die deutschsprachige Gemeinde Gottes. Verbindungen zu den etablierten englischsprachigen Gemeinden Gottes bekamen weitere Risse, besonders im Blick auf das in ihren Augen »verdächtige Anderson« und die kulturelle Landschaft der nordamerikanischen Kirche insgesamt, die sie als (ver)weltlich(t) ansahen.
Spaltung über Theologie – aber auch kulturelle Unterschiede
Ab 1962 gaben fast alle der verbliebenen deutschsprachigen Gemeinden in Nordamerika ihr eigenes Jahrbuch heraus und beendeten ihre Verbindung zu der weiter verbreiteten Gemeinde Gottes. Wie bereits erwähnt gab es auch wachsende Spannungen innerhalb eher offenerer deutschsprachiger Gemeinden, die die Übernahme durch die Osteuropäer beunruhigte. 1971 wurde die deutschsprachige Gemeinde Gottes in Edmonton durch eine große Spaltung erschüttert, der hauptsächlich unterschiedliche Sichtweisen der Heiligung zu Grunde lagen, die aber wohl genauso viel mit unterschiedlicher kultureller Sichtweise zusammenhing wie mit Theologie.
Die Nachwirkungen, die dieser Bruch auslöste, veranlassten eine Handvoll Gemeinden in den USA und Kanada, sich von diesem deutschsprachigen Netzwerk zurückzuziehen und sich nach und nach neu mit uns anderen [englischsprachigen und westlich geprägten] Gemeinden Gottes zu verbinden.
Spulen wir im Schnelldurchgang ins Heute, viele Generationen später: Immigration aus Europa versiegte mit der Zeit und die eingeschworene Gemeinschaft deutschsprachiger Gemeinden war gezwungen, sich eine neue Zukunft zu schmieden. Während sie sich einst sträubten Englisch in ihren Gemeindealltag zu integrieren, haben heute alle 15 verbleibenden Gemeinden (13 in Kanada und 2 in den USA) sich den neuen kulturellen Gegebenheiten angepasst, in denen sie sich damals wiederfanden. Wer ihre Webseiten anschaut oder Gemeinden besucht würde vermutlich nicht einmal bemerken, dass es zuvor ausschließlich deutschsprachige Versammlungen waren, deren tiefere Wurzeln hauptsächlich in Osteuropa lagen. Dennoch bleiben sie standhaft der Überzeugung, selbst Teil der Reformationsbewegung der Gemeinde Gottes zu sein, auch wenn sie nicht wirklich mit den Church of God Ministries in Nordamerika verbunden sind oder unserer General Assembly [die in etwa unserer dt. Bundeskonferenz entspricht; Anm. d. Übers.] angehören.
Historische Schlussfolgerungen für heute und jetzt
Abgesehen davon gibt es hier und da immer noch familiäre Verbindungen, und im Laufe der Jahre gab es viele vielversprechende Anzeichen des Dialogs und partnerschaftlichen Verhaltens zwischen Einzelpersonen aus beiden Gruppen – von denen ich das Vorrecht hatte, vereinzelt mit dabei gewesen zu sein.
Wer bis hierher gelesen hat fragt sich womöglich, warum ich diese Geschichtsstunde hier überhaupt ausbreite. Natürlich, zum Teil liegt es daran, dass meine eigene Lebensgeschichte in sie eingebettet ist. Darüber hinaus gilt es jedoch einige bedeutsame Schlussfolgerungen in Betracht zu ziehen, wenn wir bei der Entwicklung unseres Gemeindebundes in den USA und Kanada die deutsche Verknüpfung mit betrachten. Hierzu einige erste Überlegungen zu diesem Thema:
- Von Anfang an hat die deutsche Sprache und Kultur unsere Gemeindebewegung weitreichend beeinflusst. Dies könnte einige Spannungen, die wir durchlebten (und an denen wir weiter arbeiten), erklären, die wir jedoch bisher auf anderen Ursachen zurückführen.
- Eine beachtliche Anzahl unserer Kirchengemeinden, speziell in den nördlichen US-Bundesstaaten und Kanada, haben tief gehende historische Verbindungen mit den Leuten der deutschsprachigen Gemeinden Gottes in ihren Städten. Einige dieser Kirchen zeigen, vielleicht sogar unbewusst, Haltungen und Verhaltensmuster, die genau durch diesen Einfluss verinnerlicht wurden.
- Die von uns während der europäischen Kriegsjahre an den Tag gelegten Vorurteile gegenüber unseren deutschen Brüdern und Schwestern trugen zu ihrem Misstrauen gegenüber der etablierten größeren Bewegung bei. Wir müssen heute sehr umsichtig sein und verhindern, die weltpolitischen Knackpunkte, die zwischen uns und anderen Ländern bestehen, den Menschen überzustülpen, die aus diesen Ländern stammen und jetzt Teil unserer Kirchengemeinschaften sind.
- Kultur ist nicht monolithisch, »aus einem Guss« zusammengesetzt. Die Unterschiedlichkeit der Deutschen in unserer Geschichte sollte uns daran erinnern, dass der kulturelle Hintergrund unsere Sichtweisen, Theologien und Glaubenspraxis prägt. Hieraus sollten wir Lehren ziehen und heute anwenden, wenn es – unter anderem – um den Umgang mit unseren Freunden geht, die von amerikanischen Ureinwohnern abstammen oder lateinamerikanischer bzw. hispanischer Abstammung sind.
- Jede Anstrengung zur Einheit in der Gemeinde Gottes muss mit bewusster Kontaktaufnahme und Versöhnungsversuchen auch zu unseren »Vettern und Cousinen« deutscher Abstammung Hand in Hand gehen.
Quelle: https://chogblog.substack.com/
(Übertragung aus dem Amerikanischen von Petra Piater. Abdruck/Post und Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Autors).
Dr. Llyod Moritz, Autor, Blogger und Podcaster, diente 45 Jahre lang in Ortsgemeinden überregional und landesweit in der Church of God. Der gebürtige Kanadier lebt mit seiner Frau in CA, USA.